Anfang der Sozialpsychologie - 1908
- 1908: in diesem Jahr wurde das erste Buch mit dem Titel „Social Psychology“ veröffentlicht, nämlich das des Soziologen Edward A. Ross (1866-1951).
- 1908: Buch mit dem Titel „Introduction to Social Psychology“ des englischstämmigen Psychologen William McDougall (1871-1938): --trieb- bzw. instinkttheoretische Grundlagen der Sozialpsychologie - Herdentrieb, Mütterlichkeit usw. Triebtheorien dieser Art hatten lange Be-stand, sind heute allerdings ganz „out"
Begriffsgeschichte
- 1863/1864 „psicologia sociale“ von Carlo Cattaneo (1801-1869) hin (Cattaneo, 1972).
- 1871: Im deutschsprachigen Bereich war vermutlich Gustav Adolf Lindner (1828-1887) der erste Autor, der 1871 den Begriff „Socialpsychologie“ etwa im heutigen Sinne verwendete. Lindner vertrat einen organizistischen Gesellschaftsbegriff, wie auch - Albert Schäffle (1831-1903), - Johann Friedrich Herbart (1776-1841), - Herbert Spencer (1820-1903) und anderen.
Sozialpsychologie entwickelt sich nur mühsam
„(So) schien die sozialpsychologische Forschung für die Psychologie niemals obligatorisch zu sein; sie blieb ein Gebiet, mit dem Psychologen sich je nach Belieben beschäftigen konnten, und keiner verstand es als Versäumnis, wenn sie es nicht taten“ (Kripal Singh Sodhi, 1954, S. 8).
-> Lange brauchte die Psychologie, um die soziale Bedingtheit menschlichen Erlebens und Verhaltens zu erkennen.
-> Lange brauchte die Psychologie, um die soziale Bedingtheit menschlichen Erlebens und Verhaltens zu erkennen.
Völkerpsychologie
- Als eine der ältesten Wurzeln der Sozialpsychologie kann die Völkerpsychologie gelten
- der deutsche Begriff der Völkerpsychologie geht auf Wilhelm von Humboldt (1767-1835) zurück, obwohl er den Begriff nicht geprägt hat - Denken wesentlich durch die Sprache bestimmt (Whorf- oder Whorf-Sapir-Hypothese)
- Entwicklung einer wissenschaftlichen Völkerpsychologie im Sinn einer völker- bzw. kulturvergleichenden Wissenschaft: - Philosoph Moritz (Moses) Lazarus (1824-1903) und dem - Philosophen und Sprachwissenschaftler Hajim (bzw. Hermann) Steinthal (1823-1899) zu. Gemeinsam gründeten Lazarus und Steinthal 1860 die „Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft“, die kulturvergleichenden Untersuchungen dienen sollte.
- Wilhelm Wundts (1832-1920) zehnbändige „Völkerpsychologie“ - Das Experiment sei zum Studium komplexerer, „höherer“, und damit auch sozialer Vorgänge ungeeignet. - So blieb für Wundt die Völkerpsychologie auf Beobachtung, Vergleich und Beschreibung beschränkt. Themen der Völkerpsychologie waren für Wundt u.a. Sprache, Religion, Mythos, Recht, Kultur und Geschichte.- in der Psychologie nur wenig Resonanz.
Massenpsychologie
- Massenpsychologie als ein Vorläufer der Sozialpsychologie
- Ursprung liegt allerdings in Italien: Kriminologe Scipio Sighele (1868-1913) stellte sich die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit des einzelnen Menschen, der in „entgleisten“ Menschenmengen zu solchen strafbaren Handlungen hingerissen wird, die dieser allein kaum begehen würde (Sighele, 1891).
- Gabriel Tarde (1843-1904) in Frankreich ging es um juristische und kriminologische Fragen
- Journalist und Arzt Gustave LeBon (1841-1931) stellte dem kritischen und vernünftigen Denken des Einzelnen die Masse gegenüber (LeBon, 1895). - Masse gleiche einem kopflosen Tier, in der Massensituation würden Instinkte aktiviert, der Führer knete sich die Masse nach seinem Vorbild usw.- eher konservativ und in Ansätzen demokratiefeindlich
Auswirkungen der Völker- und Massenpsychologie auf die empirische Sozialpsychologie
- Wilhelm Wundts „Völkerpsychologie“ geht davon aus, dass das Experiment zum Studium komplexerer, „höherer“, und damit auch sozialer Vorgänge ungeeignet ist und daher auf Beobachtung, Vergleich und Beschreibung beschränkt bleibt. -> Die Wirkungen der Völkerpsychologie insgesamt auf die Entwicklung der Psychologie werden heute daher allgemein als vergleichsweise gering eingeschätzt
- Die Massenpsychologie verwendet unklare Begrifflichkeiten und beschäftigt sich nicht mit empirischer Forschung, sondern mit der Beschreibungen und Deutungen von Massenerscheinungen. -> Für die Entstehung einer empirischen Sozialpsychologie hatte die Massenpsychologie vergleichsweise wenig Wirkungen.
Frühe empirische Sozialpsychologie
- Die moderne Sozialpsychologie geht eher auf französische und amerikanische Soziologen zurück, die die Bedeutung der sozialen Umgebung für das Individuum beschrieben und der empirischen Forschung zugänglich machten.<div style="padding-left:5px;">- Charles H. Cooley (1864-1929), der 1902 den Begriff der Primärgruppe (primary group) einführte.</div><div style="padding-left:5px;">- direkten Kontakt, von Angesicht zu Angesicht</div><div style="padding-left:5px;">- für die Formung der sozialen Persönlichkeit fundamentale Bedeutung haben z.B. Familie, Freunde, Kollegen</div>* Sozialpsychologie kam besonders in den USA zur ersten Blüte.* Eins der ersten Themen dieser experimentellen Sozialpsychologie betraf den Einfluss, den die Anwesenheit anderer Personen auf die Leistung des Individuums hat -> Norman D. Triplett* beliebtes Forschungsthema der frühen Experimentalpsychologen war offenbar die Suggestibilität durch den Versuchsleiter oder durch andere Versuchspersonen.-> Alfred Binet (1857-1911) in seinem Buch „La suggestibilité“ (1900)* Wirkungen der Anwesenheit anderer- Walther Moede (1888-1958), ein Schüler Wilhelm Wundts, hat als erster eine ganze Serie von Experimenten experimenteller Psychologie mit Kindern durchgeführt, um den Einfluss der Anwesenheit anderer auf die Leistung des einzelnen festzustellen. Leistungssteigerungen, die er auf Geltungsstreben und Äquivalenzgefühle, d.h. Bedürfnisse nach Gleichbehandlung, zurückführte. Widerspruch zu seinem Lehrer Wundt, der soziale Prozesse für zu komplex hielt, um sie experimentell erforschen zu können.- theoretische Durchdringung solcher Gruppenwirkungen gelang erst Floyd H. Allport: Leistungssteigerungen, die Allport fand, erklärte er mit sozialer Erleichterung – „social facilitation“. Nicht Gruppengeist oder Gruppenseele seien für die erzielten Leistungsveränderungen verantwortlich, sondern lediglich die Tatsache, dass bei der Arbeit andere Menschen zu hören und zu sehen sind.
Frühe empirische Sozialpsychologie
- Die moderne Sozialpsychologie geht eher auf französische und amerikanische Soziologen zurück, die die Bedeutung der sozialen Umgebung für das Individuum beschrieben und der empirischen Forschung zugänglich machten.- Charles H. Cooley (1864-1929), der 1902 den Begriff der Primärgruppe (primary group) einführte. - direkten Kontakt, von Angesicht zu Angesicht - für die Formung der sozialen Persönlichkeit fundamentale Bedeutung haben z.B. Familie, Freunde, Kollegen* Sozialpsychologie kam besonders in den USA zur ersten Blüte.* Eins der ersten Themen dieser experimentellen Sozialpsychologie betraf den Einfluss, den die Anwesenheit anderer Personen auf die Leistung des Individuums hat -> Norman D. Triplett* beliebtes Forschungsthema der frühen Experimentalpsychologen war offenbar die Suggestibilität durch den Versuchsleiter oder durch andere Versuchspersonen.-> Alfred Binet (1857-1911) in seinem Buch „La suggestibilité“ (1900)* Wirkungen der Anwesenheit anderer- Walther Moede (1888-1958), ein Schüler Wilhelm Wundts, hat als erster eine ganze Serie von Experimenten experimenteller Psychologie mit Kindern durchgeführt, um den Einfluss der Anwesenheit anderer auf die Leistung des einzelnen festzustellen. Leistungssteigerungen, die er auf Geltungsstreben und Äquivalenzgefühle, d.h. Bedürfnisse nach Gleichbehandlung, zurückführte. Widerspruch zu seinem Lehrer Wundt, der soziale Prozesse für zu komplex hielt, um sie experimentell erforschen zu können.- theoretische Durchdringung solcher Gruppenwirkungen gelang erst Floyd H. Allport: Leistungssteigerungen, die Allport fand, erklärte er mit sozialer Erleichterung – „social facilitation“. Nicht Gruppengeist oder Gruppenseele seien für die erzielten Leistungsveränderungen verantwortlich, sondern lediglich die Tatsache, dass bei der Arbeit andere Menschen zu hören und zu sehen sind.
Die Sozialpsychologie kam besonders in den USA zur ersten Blüte, weil ...
- in einer Nation mit multikulturellem Hintergrund eher Fragen nach der Bedeutung sozialer Normen und Gewohnheiten aufkommen
- Bereitschaft da war soziale Einflüsse experimentell zu untersuchen
- zahlreiche Hochschulen gegründet wurden, in denen Psychologie und damit auch Sozialpsychologie – weitgehend von den Mutterwissenschaften Philosophie und Physiologie getrennt – gelehrt wurde. -> Praxisorientierung
Einfluss anderer Personen auf die Leistung des Individuums - Triplett
- 1898 veröffentlichte Experiment zum Schrittmacherphänomen von Norman D. Triplett (1861-1900), in dem die anregenden Wirkungen des Wettbewerbers auf die Leistungen des Einzelnen in origineller Weise un-tersucht wurden, gehört zu den frühen Arbeiten der Sozialpsychologie (Triplett, 1898).* "Klassiker" der Social Facilitation-Forschung (s.u.) und die Leistungsmotivationsforschung, sowie der Sportpsychologie* Selbst wenn man heutige Maßstäbe anlegt, muss man wohl Tripletts Experiment als eins der ersten Experimente zur Thematik des sozialen Einflusses ansehen, aber wohl nicht als erstes.
Floyd H. Allport
- Theoretische Durchdringung solcher Gruppenwirkungen gelang erst Floyd H. Allport* Leistungssteigerungen, die Allport fand, erklärte er mit sozialer Erleichterung – „social facilitation“. Nicht Gruppengeist oder Gruppenseele seien für die erzielten Leistungsveränderungen verantwortlich, sondern lediglich die Tatsache, dass bei der Arbeit andere Menschen zu hören und zu sehen sind.* Lehrbuch der Sozialpsychologie (1924) von Floyd Allport stellt eine behavioristische Sozialpsychologie dar, die für die Weiterentwicklung der Sozialpsychologie von großer Bedeutung werden sollte* Methode der Isolation unabhängiger Variablen, die Kontrolle von Störvariablen und die statistische Verrechnung der Messwerte der abhängigen Variablen bei Versuchs- und Kontrollgruppe ermöglichten das systematische Studium sozialer Prozesse.-> experimentell realisierbares Forschungsprogramm mit Langzeitwirkungen* Einengung der Sozialpsychologie: - Bedingungen, bei denen Personen nebeneinander lesen, lernen und arbeiten und nicht isoliert sind- von Allport und seinen Schülern untersuchten Sozialbeziehungen sind bei näherer Betrachtung eigentlich weit entfernt von alltäglichen Gruppenprozessen
Erste Untersuchung von Gruppenprozessen
- Kleingruppenforschung als ein Kerngebiet der Sozialpsychologie in den 30er Jahren - Jakob L. Moreno -> Gruppenstrukturen sichtbar machen und in Form von Soziogrammen graphisch darstellen- Muzafer Sherif -> Entstehung gesellschaftlicher Normen- Kurt Lewin -> bahnbrechenden Experimente über den Einfluss autokratischer und demokratischer Führung auf die Gruppenatmosphäre in Jungengruppen durch- William F. Whyte -> Erforschung der Gruppenprozesse im Alltag
- Der von Moreno und von Lewin benutzte Begriff der Gruppendynamik (group dynamics) wurde zum Schlagwort für eine neue Wissenschaft.
Anfänge der Einstellungsforschung
- Einstellungs- oder Attitüdenforschung. - Durch Louis Leon Thurstone (1887-1955) und andere Forscher waren nicht nur Fragebögen, sondern standardisierte Einstellungsskalen analog zu persönlichkeitsdiagnostischen Verfahren entwickelt worden. in allen Bereichen der angewandten Sozialpsychologie als nützlich, besonders in der Vorurteils- und Stereotypforschung
- Höhepunkt erlebte die Einstellungs- oder Attitüdenforschung mit den breit angelegten Untersuchungen zur autokratischen Persönlichkeit (Adorno u.a., 1950). - Wechselwirkung zwischen autokratischer Erziehung in der Familie und dem politischen System eines Landes- Nazi-Deutschland ließen in den USA die Frage nach antidemokratischen Persönlichkeitszügen aus diesen Studien hervorgegangene F-Skala („F“ von fascism) eins der am häufigsten in der Einstellungsforschung verwendeten Messinstrumente
- Der von Herbert Hyman 1942 geprägte Begriff der Bezugsgruppe (reference group) wies auf die Bedeutung sozialer Gruppen für den sozialen Vergleich, aber auch für den Erwerb von Einstellungen hin.
- Untersuchungsbeispiele zeigen, dass die Sozialpsychologie in Fragestellungen und Methoden ganz unmittelbar von anwendungsorientierten Untersuchungen profitiert hat
Sozialpsychologie nach dem zweiten Weltkrieg
- Durch Robert F. Bales (geb. 1916) - Leon Festinger (1919-1989), - Morton Deutsch (geb. 1920), - Stanley Schachter (1922-1997) und andere, wurden Gruppenprozesse unter Laboratoriumsbedingungen detailliert untersucht
- Beziehungen zwischen Gruppen wurden zum Gegenstand der Forschung durch Untersuchungen von Muzafer Sherif, seiner Frau Carolyn W. Sherif und Mitarbeiter
- Leon Festinger hatte mit seiner Theorie sozialer Vergleichsprozesse und der kurze Zeit später vorgestellten Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957) in den fünfziger Jahren ein plausibles Modell entworfen, mit dem Einstellungsänderungen vorhergesagt wurden.
--> Studien entstanden aus praktischen Interessen.
Sozialpsychologie in Westdeutschland
- Sozialpsychologie im heutigen Sinn gab es in der Nachkriegszeit kaum.
- erstes und einziges Institut für Sozialpsychologie zwischen den Weltkriegen begründete Willy Hellpach 1921 an der Technischen Hochschule Karlsruhe eher Arbeitspsychologie und um Humanisierung des Taylorismus als um sozialpsychologische Grundlagenforschung
- die deutsche Psychologenschaft ist nach dem Zweiten Weltkrieg schlecht über amerikanische Entwicklungen informiert
- älteren Psychologen fehlt das Verständnis für eine experimentelle Sozialpsychologie
- „Restauration“ der Vorkriegsverhältnisse in Hinblick auf dreierlei: die Hochschulstruktur, die Lehrstuhlinhaber und die Lehrinhalte.
- Praktisch tätige Psychologinnen und Psychologen dagegen: Wehrmachtpsychologie gab es nicht mehr, neue Betätigungsfelder mussten erst gefunden werden. Mitte der sechziger Jahre mit dem Aufkommen der wichtigen Psychotherapie-Verfahren gab es dann Berufs-Boom.
- Kultur des gemeinsamen Beschweigens : Lehrende wie Lernende waren froh, dass die „dunkle“ Nazi-Zeit hinter ihnen lag
- Universitätsbibliotheken und Psychologischen Instituts-bibliotheken verfügten über sehr geringe Mittel z.B. keine einzige Zeitschrift
Willi Helpach - Sozialpsychologie in historischen Bezügen
- Politiker und politischer Journalist
- Medizin und zusätzlich bei Wundt in Leipzig Psychologie studiert
- In der Nazi-Zeit musste sich Hellpach als überzeugter Demokrat zurückziehen.
- Lehrbuchautor: Seine „Einführung in die Völkerpsychologie“ (1938) passte er gleich nach dem Krieg an die neuen Verhältnisse an (Hellpach,1946, 1954).
- Nach 1945 war er wohl der einzige deutsche Psychologieprofessor, der „Sozialpsychologie“ in seiner Stellenbezeichnung trug.
- Theman waren Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft als Sozialorganismus, Betrachtungen über den Einfluss des Klimas auf menschliches Handeln, Physiognomik und vieles mehr in einer sprachschöpferischen Darstellung, die schon damals als schwer verdaulich und spekulativ galt. -> stand nicht der experimentellen Sozialpsychologie nahe.-> deutsche Studierende auch nach dem Krieg von einer modernen Sozialpsychologie abgehalten wurden.
Kriphal S. Sodi - Rezeption der amerikanischen Sozialpsychologie gegen den Strom der Zeit
- Kripal Singh Sodhi (1911 – 1961), gebürtiger Inder, hatte in Indien studiert und kam 1937 nach Berlin, um bei Wolfgang Köhler Gestaltpsychologie zu studieren, der aber bereits emigriert war.
- nach großen Schwierigkeiten, eine außerplanmäßige Professur, u.a. durch positive Gutachten von Köhler und Hofstätter
- Sodhis Forschung lag im Bereich der Konformitätsfor-schung, der sozialen Wahrnehmung und der Stereotypforschung.
- moderne, experimentelle Sozialpsychologie unter dem Einfluss von Köhler, Crutchfield und Asch vertrat, die Schwierigkeiten ablesen, die ein jüngerer Wissenschaftler wie er mit dem Establishment hatte. Als Sodhi sein eingangs zitiertes Kongressreferat von 1953 für den Kongressbericht einreichte, stieß er beim Herausgeber Albert Wellek auf Kritik. Wellek nahm im Manuskript Kürzungen vor und wünschte Einfügungen, da Sodhi angeblich Wichtiges, nämlich die Dar-stellung der Sozialorganismen, entgangen sei. Dazu empfahl er ihm die Lektüre eines seiner eigenen Bücher, Arbeiten von Willy Hellpach und Felix Krueger. Sodhi hatte nun Mühe seine Position durchzusetzen. Er wehrte sich gegen Streichungen, entschuldigte sich aber bei Wellek für seine „bedauerliche Unterlassung“, dessen Buch nicht zitiert zu haben. Den Begriff der Sozialorganismen habe er aber in seiner Arbeit absichtlich nicht dargelegt, da die moderne ethnologische und soziologische Forschung die Gesellschaft schon lange nicht mehr als Organismus auf-fasse. Hiermit hatte Sodhi recht; und die Episode macht deutlich, wie schwer eine empirische Sozialpsychologie in Deutschland etabliert werden konnte.
Peter R. Hofstätter
- Nicht nur sein Fischer Lexikon Psychologie, sondern vor allem seine Gruppendynamik (beide 1957 erschienen), wurden zu Taschenbuch-Bestsellern und weckten das Interesse an der Sozialpsychologie amerikanischer Prägung.
- Heerespsychologe gewesen, lehrte in Graz, an US-Universitäten und 1956-1959 als Professor für Psychologie und Rektor an der Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven
- Hofstätter der erste in Westdeutschland, dem es gelang, Fragen der Sozialpsychologie, Fragen der empirischen psychologischen Forschungsmethoden und vieles mehr einem breiten Publikum vorzutragen.
- politische Vergangenheit und seine Tendenz zu rechtskonservativen Kreisen machten ihn zur Zeit der Studentenbewegung unbeliebt und trugen ihm Konflikte ein
- in Aufsätzen in der „Zeit“ für eine Generalamnestie für NS-Verbrechen aussprach und sich u.a. wünschte, der Geschichtsunterricht in Schulen solle die letzten 30 oder 50 Jahre aus dem Unterricht ausschließen
Martin Irle und Sonderforschungsbereich 24
- Schon ab 1968 war Irle Sprecher des Sonderforschungsbereichs 24 „Sozialwissenschaftliche Entscheidungsforschung“, der für die weitere Ent-wicklung der Sozialpsychologie in der BRD von erheblicher Bedeutung werden sollte.
- Gastprofessuren aus den USA und anderen Ländern führten zu Kooperationen und zu ca. 700 Publikationen im Kontext der (von Irle erweiterten) Dissonanztheorie und neuerer Entscheidungstheorien
- 1970 Mitbegründer der bis heute bestehenden Zeitschrift für Sozialpsychologie (seit 2008: „Social Psychology“).
- Beitrag dazu, dass westdeutsche Sozialpsychologie langsam ein respektables Niveau bekam.
Sozialpsychologie in der DDR
- DDR Sozialpsychologie nicht an allen Universitäten mit Diplomausbildung vertreten
- etwa ab 1954, gab es einen sozialpsychologischen Schwerpunkt an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin, wo Kurt Gottschaldt (1902-1991) und seine Mit-arbeiter seit 1954 sozialpsychologische Arbeiten zum Wir-Gruppen-Konzept, zu Führungsstilen nach Lewin usw. veröffentlichten. Gottschaldt war Gestaltpsychologe und so war auch dessen sozialpsychologische Forschung durch die Gestaltpsychologie und durch die Feldtheorie Kurt Lewins geprägt.
- Während die erste Generation um Gottschaldt in Berlin in den Problemorientierungen Gottschaldts Theorie folgte, konnte die zweite Generation in Leipzig und Jena in Theorien, Modellen und Methoden der amerikanischen Forschung folgen, wobei diese Forscher angaben „in ihnen theoretischen Grundannahmen einem marxistisch-leninistischen Ansatz zu folgen“, die aber im Großen und Ganzen eine Darstellung westlicher Sozialpsychologie war, nah besehen sogar westdeutscher Sozialpsychologie
- Gründe für die mühsame Entwicklung der Sozialpsychologie im gesamten Ostblock sind in der Vergangenheit zu suchen: Das Dekret des Zentral-komitees der KPdSU vom 4. Juli 1936 gegen die sog. pädologischen Perversionen (sog. Pädologendekret).
Eine europäische Entwicklung: Die EASP
- Für die Entwicklung der akademischen Sozialpsychologie in Europa hatte die European Association of Experimental Social Psychology (EAESP) wichtige Bedeutung und trug zum Aufbau der Sozialpsychologie in der Bundesrepublik und in der DDR bei.
- Ein besonderes Verdienst war die Aufrechterhaltung und Herstellung von Arbeitsbeziehungen zwischen west- und osteuropäischen, auch zwischen west- und ostdeutschen Sozialpsychologen zu Zeiten des Eisernen Vorhangs.
- Es ging also nach Auffas-sung der führenden Mitglieder darum, die experimentelle Sozialpsychologie zu fördern. So verstand sich die EAESP zuerst als kleine Gesellschaft experimenteller Forscher.
- Ein wesentliches Merkmal der Vereinspolitik war die Integration von Ost und West.
- Die Erforschung non-verbaler Kommunikati-on (Michael Argyle), Gruppenpolarisation (Serge Moscovici), Intergruppen-Beziehungen (Henri Tajfel) und viele weitere Themen sind in Europa entstanden oder doch besonders intensiv erforscht worden. Und doch: Es wäre nicht ganz gerechtfertigt, wenn man von einer „europäischen“ Sozialpsychologie sprechen würde, weil die Unterschiede zum inter-nationalen Mainstream zu gering sind.
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Author: Lise Langstrumpf
Main topic: 3407
School / Univ.: FU Hagen
Published: 13.12.2014
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