Was versteht man unter Feldabhängigkeit/Feldunabhängigkeit?
Konstrukt geht auf Witkin et al. (1954) zurück; bereits bis Mitte der 70er Jahre lagen ca. 2000 einschlägige Publikationen vor. Das Konstrukt hat im Laufe seiner Erforschung bedeutsame inhaltliche Änderungen erfahren, wesentlichen Entwicklungsschritte waren:
- Ursprünglich wurde unter Feld(un)abhängigkeit die relative Bedeutung einander widersprechender vestibulärer und visueller Sinneseindrücke beim Versuch, die Senkrechte im Raum herzustellen, verstanden.Etwa folgende Testanordnung (RFT: „Rod and Frame Test“, vgl. Abb.) wurde zur Messung eingesetzt: In einem verdunkelten Raum sollte ein schräggestellter Leuchtstab, der sich in einem gekippten quadratischen Leuchtrahmen befindet, von den Tpn, die zusätzlich in einem seitlich gekippten Stuhl sitzen, senkrecht gestellt werden.Feldabhängigkeit war definiert als: Relative Dominanz visueller Sinneseindrücke gegenüber vestibulären (den Gleichgewichtssinn betreffenden); Feldunabhängigen Personen gelang es leichter, den Stab in die Senkrechte zu bringen.
- Erweiterung auf höhere kognitive Leistungen: Fähigkeit, einfache Figuren in komplexen Reizvorlagen zu identifizieren. Testmaterial: Embedded Figures Test (EFT) – gemessen wurde die Bearbeitungszeit für eine Aufgabenserie.Die Berechtigung dazu wurde aus Korrelationen zwischen EFT und RFT (od. ähnlichen Raumorientierungstests) in Höhe von ca. 0.21 bis 0.66 abgeleitet (Tests laden auch gemeinsam in einem Faktor).Aus der Addition von Maßen von Raumorientierungstests und EFT wurde ein „Perceptual Index“ (PI) gebildet, der nun für Feldabhängigkeit steht und als Ausdruck eines kognitiven Stils (Pole: differenziert bis global) interpretiert wird.Differenzierung: Kontrolle von Impulsen; Separierung von Fühlen, Wahrnehmen, Denken, Handeln usw.
- Neuerliche Ausweitung des Begriffs durch Goodenough (1978): Feldunabhängigkeit bedeutet das Ausmaß, in dem Individuen unabhängig (autonom) von der sie umgebenden Welt „funktionieren“, d.h. agieren od. reagieren.Feldunabhängige besitzen „internal frames of reference“ (internale Bezugssysteme), die sie zur Verarbeitung einlaufender Informationen verwenden;Feldabhängige sind orientiert an „external frames of reference“ und daher weniger „aktiv“ in der Verarbeitung einlaufender Informationen. Diese Bedeutungserweiterung wurde aus Begleituntersuchungen abgeleitet:Feldabhängige tendieren mehr als Feldunabhängige …- zu undifferenzierten Abwehrmechanismen,- dazu, Aggressionen direkt und unkontrolliert auszudrücken,- zu intuitiven, nicht‐hypothesentestenden Methoden,- zu eher rücksichtslosem Fahrverhalten (erhöhte Unfallhäufigkeit),- zu anderer Studien‐ und Berufswahl:Feldabhängige: Sozialarbeit; Grundschullehrer; Klinische Psychologie etc.Feldunabhängige: Physik; Mathematik; Kunst; Architektur; Ingenieurswiss.; Experimentelle Psychologie etc.
Tags: Feldabhängigkeit, kognitive Persönlichkeitskonstrukte, Witkin
Quelle: S130
Quelle: S130
Was ist die Kritik am Konstrukt Feldabhängigkeit bzw. ‐unabhängigkeit?
- Handelt es sich wirklich um einen kognitiven Stil (= dynamischer Funktionsfaktor, der Auskunft über bestimmte kognitiv‐perzeptive Prozesse gibt)?
- Oder gibt das Konstrukt eher Auskunft über Eigenschaften der Person bzw. Leistungsfähigkeit?
- Die Abgrenzung zu bekannten Persönlichkeitskonstrukten (z.B. Intelligenz) ist zweifelhaft; unverständlich ist, dass die Schule um Witkin sich nicht um experimentelle oder statistische Kontrolle von „g“ oder anderen Intelligenzmaßen bemühte.
- Feldabhängigkeit ist eventuell keine neue Persönlichkeitsdimension, da eventuell bloß neue Operationalisierungen für eine bekannte Verhaltensdimension vorliegen: Thurstones Raumfaktor „Flexibility of Closure“.
- Konstrukt der Differenzierung ist zu vage, um die Grenzen seiner Anwendung festzulegen; Theorie ist somit (teilweise) nicht falsifizierbar.
Tags: Feldabhängigkeit, kognitive Persönlichkeitskonstrukte, Kritik
Quelle: S131
Quelle: S131
Kartensatzinfo:
Autor: coster
Oberthema: Psychologie
Thema: Differentielle Psychologie
Schule / Uni: Universität Wien
Ort: Wien
Veröffentlicht: 08.05.2013
Tags: WS2012/13, Georg Gittler
Schlagwörter Karten:
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